- Der GAU ereignete sich am 11. März 2011: Infolge eines schweren Erdbebens und Tsunamis wurde das Atomkraftwerk Fukushima, 200 km nördlich der japanischen Hauptstadt Tokio gelegen, schwer beschädigt. Die ganze Welt reagierte alarmiert, und Bundeskanzlerin Angela Merkel schwenkte plötzlich auf Atomausstieg um. Neue Energiequellen für Strom müssen jetzt endlich forciert werden. Seit dem Frühjahr von zwei Jahren reißen die Horrormeldungen aus Japan nicht ab. Der Reaktor des Schreckens macht ähnlich schockierende Schlagzeilen wie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986, die eine ganze Generation zum weltweiten Protest gegen Atomkraft aktivierte.
Die Serie der Pannen setzt sich fort
Auch die neuesten Meldungen Ende September und Anfang Oktober 2013 geben Anlass zur Besorgnis. Wie es aussieht, gelingt es dem Betreiber Tepco nicht, die Atomruine unter Kontrolle zu bekommen: Radioaktives Wasser läuft immer wieder aus – direkt in den Pazifik. Die japanische Regierung übt Kritik, machte aber lange den Eindruck, die wahren Gefahren zu bemänteln. Dieser Verdacht kam kürzlich mit der Nominierung Tokios als Austragungsort von Olympia 2020 erneut auf. Vermutlich glaubt man, das havarierte Atomkraftwerk innerhalb der nächsten sieben Jahre beherrschen zu können. Aber ist das realistisch?
Die Erklärungen zu den Pannen lesen sich teilweise haarsträubend: So hatte sich unlängst ein Arbeiter in Fukushima hinsichtlich einer Tankgröße verschätzt. Aus dem Behälter traten innerhalb eines halben Tages geschätzte 430 Liter kontaminiertes Wasser aus. Wie es hieß, gäbe es an dem Tank keine Anzeige, wann eine Gefahr des Überlaufens bestünde. Er sei einer von rund tausend auf dem Gelände, ließ Tepco verlauten. Der betreffende Tank sei auf abschüssigem Boden mit einer Neigung in Richtung Meer aufgestellt worden. Bereits im August hatte ein ähnlicher Vorfall für Aufsehen gesorgt: Damals sickerten 300 Tonnen radioaktives Wasser in den Ozean. Das Wasser kühlt die geschmolzenen Brennstäbe und wird danach in Tanks gelagert.
Dass Mitte September außerdem Dampf aus der Anlage austrat, verschärfte die Kritik an dem Tepco-Krisenmanagement. Beobachter glauben, dass das Unternehmen Tepco das wahre Ausmaß der Katastrophe immer wieder vertuscht und die Wahrheit nur in kleinen Dosen an die Öffentlichkeit gelangt. Dazu gehört die Tatsache, dass ein einzelner Arbeiter zur Kontrolle von 500 Tanks eingeteilt wird. Und dazu gehört auch, dass die Schläuche, die die Tanks miteinander verbinden, direkt auf dem Rasen ausgelegt wurden.
Atomkraft nein danke – bei diesen Meldungen
Das ist längst nicht alles, womit Fukushima immer wieder von sich reden macht. Die Anlage zur Erzeugung von Strom ist zum globalen Ort des Grauens geworden. Zwar setzen diverse Staaten weiterhin von keinem Zweifel angekränkelt auf Atom-Strom, aber selbst früheren Befürwortern der Atomkraft wird angesichts des Desasters in Japan schwarz vor Augen. So schwarz, wie uns unsere Zukunft über Jahrzehnte immer wieder ausgemalt wurde, wenn es keinen aus Atomkraft gewonnenen Strom mehr gäbe für unseren verschwenderischen Umgang mit der Energie. Die Energiekonzerne sind zum Umdenken gezwungen und schlagen zunächst einmal mit kräftigen Preiserhöhungen für Strom zurück, weil ihnen die Atomkraft zur Stromerzeugung nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung steht.
Doch zurück nach Japan. Bei den Aufräumarbeiten spielen Filter für kontaminiertes Wasser eine bedeutende Rolle. Ein solches Filtersystem sorgte unlängst in der Atomruine für große Schwierigkeiten und musste abgeschaltet werden. Ein Leck wurde allerdings nicht gefunden. Doch ein Alarmsignal hatte Tepco zu diesem Schritt bewogen.
Mithilfe des vom japanischen Konzern Toshiba hergestellten „Alps“-Systems lässt sch beispielsweise Strontium aus dem Wasser filtern, bei strahlendem Tritium hingegen herrscht Fehlanzeige. Im Juni hatte es bereits Pannen gegeben, die auf Korrosionsschäden zurückgeführt wurden. Als Anfang Oktober der Testbetrieb der Filteranlage, mit der riesige Wassermassen bewältigt werden müssen, wieder aufgenommen wurde, erfolgten neue Meldungen über Probleme aus dem AKW.
Die ganze Welt beobachtet, was in Fukushima geschieht. Insofern sind bereits kleinere Störfälle wie eine kurzfristig abgeschaltete Filteranlage bereits eine Meldung. Das hängt auch damit zusammen, dass Tepco mit den komplexen Aufräumarbeiten heillos überfordert zu sein scheint. Immer wieder werden Lecks an den Tanks festgestellt. Und wiederholt kommt es dazu, dass die Schieflage eines Behälters nicht beachtet wird. Resultat: Erneut lief ein Tank mit einem Fassungsvermögen von 450 Tonnen über. Diesmal war angeblich eine undichte Platte zur Abdichtung des auf einer Rampe positionierten Behälters die Ursache. Und wieder musste Tepco einräumen, dass verstrahltes Wasser ins Meer geflossen sei – eine vergleichsweise geringe Menge, dafür hoch belastet mit 580.000 Becquerel per Liter.
Bei dem Gedanken, dass Tepco über 300.000 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser auf dem AKW-Gelände lagert, wird nicht nur Atomkraft-Experten mulmig zu Mute. Denn die Tanks zur Aufbewahrung reichen kaum noch aus und sind zudem vielfach schadhaft. Sie bestehen aus zusammengenieteten Stahlplatten und neigen dazu leckzuschlagen.
Dauerchaos und kein Ende
Inzwischen hat sogar Japans Regierungsoberhaupt, Premierminister Shinzo Abe, Hilfe erbeten. Hinter seinen Worten, mit denen er um das Wissen und die Expertise anderer Staaten für sein Land bat, steht offenkundig dringender Bedarf. um das Chaos vor Ort zu bewältigen. Dieses Eingeständnis Abes, dass es die Japaner allein nicht schaffen, lässt sich gar nicht hoch genug einschätzen. Denn traditionell kommt ein Schuldeingeständnis für einen Asiaten einem Gesichtsverlust gleich, desgleichen ein Hilfegesuch. Ihr Selbstverständnis als führende Hightech-Nation verbot den Japanern und somit auch Tepco bisher eine solche Initiative.
Doch die japanische Regierung zog endlich die Reißleine, um das nicht nur blamable, sondern auch bedrohliche Krisenmanagement in Fukushima zu optimieren. Im Hinblick auf Olympia 2020 ist das eine dringend erforderliche Imagepflege, unter dem Aspekt der Sicherheit ist es schwer nachvollziehbar, wieso dies erst jetzt geschieht. Eine Tagung zum Thema „Umwelt und Energie“ in Kyoto wählte Shinzo Abe als angemessene Kulisse für seinen Appell an die Welt.
Und so sieht das Szenario in Fukushima derzeit aus:
- Jeden Tag werden rund 400 Tonnen in das AKW gepumpt, um die immer noch heißen Reaktorkerne zu kühlen.
- Da die Explosionen die Reaktorgebäude schwer in Mitleidenschaft gezogen haben, läuft die gleiche Menge Wasser täglich in die unteren Stockwerke. Obendrein dringt Grundwasser ein, welches sich mit dem verstrahlten Wasser vermischt. Damit die brisante Mixtur nicht in den Pazifik oder zurück ins Grundwasser fließt, wird alles abgepumpt. Rund 1.000 Tonnen täglich werden anschließend gefiltert und von Salz befreit.
- Teile des gefilterten Wassers setzt Tepco für die Kühlung ein, doch jeden Tag ergibt sich ein Überschuss, der sich auf rund 400 Tonnen beläuft. Dieses Wasser wird in die erwähnten Tanks gepumpt, rot eingefärbt und gelagert. Überall auf dem AKW-Gelände gibt es kontaminierte Pfützen, weil nicht alle Tanks dichthalten.
- Eine Kernschmelze fand in den Reaktoren 1 bis 3 statt. In Reaktor 4 ist das Abklingbecken voller Brennstäbe.
- Ein Eispanzer, der die Reaktoren 1 bis 4 unter der Erde umschließt, soll das Gelände abdichten und dem Problem mit dem verstrahlten Wasser ein Ende setzen. Eine Bodenvereisung will Tepco in Angriff nehmen, indem Kühlrohre unter die Reaktoren gelegt werden. In diesen fließt Kühlflüssigkeit aus Salzwasser mit einer Temperatur von minus 35 Grad – dadurch wird der Boden so kalt, dass das Grundwasser gefriert. Aufgrund dieser Methode entsteht ein Eisring, durch den kein Wasser mehr austreten kann und durch den ebenfalls kein Grundwasser eindringen kann.
Niemand kann sagen, was aus der japanischen Atomruine wird. Und auch Prognosen, wie viel die Welt im Ganzen betrachtet aus der Katastrophe und aus ihren Folgeschäden gelernt hat, sind zum jetzigen Zeitpunkt gewagt. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass der Fortschrittsglaube eines Teils der Erdbevölkerung einen nachhaltigen Dämpfer bekommen hat. Gut so!
Bild: Thommy Weiss / pixelio.de
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